Fotos von Hans-Joachim Schemel
Was sind Naturerfahrungsräume?
„Städtische NERäume sind große „wilde“ Freiräume für Kinder und Jugendliche zum Toben und Spielen, die sie eigenständig aufsuchen und ohne Vorgaben bzw. ohne vorgegebene Spielelemente (ohne Infrastruktur) nutzen können. Das Spielen in und mit der Natur soll genug Raum für Interaktionen mit Natur und mit anderen Kindern und Jugendlichen bieten.“
Quelle: Irma Stopka und Sandra Rank: Naturerfahrungsräume in Großstädten – Wege zur Etablierung im öffentlichen Freiraum.
Skript Nr. 345 des Bundesamtes für Naturschutz.
Die Südstadt ist im Umbruch begriffen. Dieses bedeutet ergebnisoffene Flächen und neue Chancen für bürgernahe Lösungen. Besonders wichtig ist dabei zu klären, wie die künftige Stadtmitte und der geplante Bürgerpark aussehen könnten. Gemeint ist damit die Umgestaltung der jetzigen Grünfläche in der Umgebung der Kommandantur mit den südlichen Grünflächen der Chapel an der Römerstraße.
Die bereits bestehende Fläche, um die es hierbei geht, hat eine Größe von etwa 140 x 190 Metern, was etwa 2,5 Hektar entspricht. Dazu kommen noch ca. 3500 m2 Gebäude- und Gebäudeumflächen (das
Eddy-Haus 420 m2, die Chapel 700 m2, Kontrollhäuser und Checkpoint) sowie - nach Vorschlag des BUND - angrenzende Flächen westlich der Kommandantur, die durch Entsiegelung begrünbar gemacht
werden könnten. Alle Gebäude stehen unter Denkmalschutz; wie sie genutzt oder einbezogen werden könnten, wird noch diskutiert. Das Gesamtareal entspricht insgesamt etwa 3 Hektar.
Der Stadtteilverein Heidelberg Südstadt e.V., der NABU und der BUND schlagen alternativ zu einer konventionellen Grünfläche einen Naturerlebnisraum vor.
Der Stadtteilverein schreibt dazu:
„Hier hat sich Übereinstimmung in der Absicht gezeigt, den Bürgerpark nicht nur gewissermaßen als „Standard“- Grünfläche vorzusehen, sondern die Chance zu nutzen, etwas „Neues“ zu gestalten, was es so in HD noch nicht gibt und damit ein Alleinstellungsmerkmal mit stadtweiter und sogar darüberhinaus- gehender Anziehungskraft zu schaffen.“
Von Dr. Hans-Joachim Schemel
Das Ziel von Naturerfahrungsräumen ist es, Natur vor allem für Kinder und Jugendliche in der Stadt wieder erfahrbar zu machen. Heranwachsenden ist in unseren heutigen Städten zu wenig Raum für
das Erleben von Natur geblieben.
Die in früheren Zeiten reichlich vorhandenen frei zugänglichen Brachflächen und sonstigen naturnahen Freiräume im besiedelten Bereich sind inzwischen fast vollständig entweder überbaut oder in gestaltete Grünanlagen verwandelt bzw. als Vorrangflächen des Naturschutzes als frei bespielbarer Bewegungsraum verloren gegangen. Dadurch werden Kindern und Jugendlichen die natürlichen Lebensräume der Tier- und Pflanzenwelt fremd.
Sie sind zudem permanent von technisch geprägten, mit Geräten ausgestatteten Räumen bzw. virtuellen Erfahrungswelten (Fernsehen, Computerspiele) umgeben. Eine Entfremdung von Natur ist vorprogrammiert.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben die Bedeutung von naturnahen, ungestalteten Flächen für eine physisch und psychisch gesunde Entwicklung von Kindern nachgewiesen – auch im Hinblick auf die Entstehungsbedingungen von Kreativität, Intelligenz, Körperbeherrschung und natürlicher Risikokompetenz.
Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen in ihrem Wohnumfeld Gelegenheiten, um sich spielerisch in Naturräumen aufhalten und bewegen zu können. Dazu gehört der elementare Kontakt mit natürlichen Elementen (Boden, Wasser, Pflanzen und Tiere). Wichtig sind dabei selbstbestimmte Aktivitäten ohne permanente Kontrolle und Reglementierung bzw. pädagogische Betreuung durch Erwachsene.
... dienen der Erholung: Vorrangig ist dabei an Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 7 bis 14 Jahren gedacht, die in ihnen spielen und mit den angebotenen Naturelementen
kreativ umgehen sollen.
... gehören mitten in ein Wohngebiet: Da sie hauptsächlich für Kinder gedacht sind, müssen sie möglichst gut zu Fuß erreichbar sein (Faustregel: nicht mehr als 300–500 Meter
entfernt).
... sind frei zugänglich und möglichst unreglementiert: Es gibt in ihnen keine Verbotsschilder, den Kindern sollten Rückzugsräume geboten werden, in denen sie sich von den
Erwachsenen unbeobachtet und unbeeinflusst ausprobieren können (Klettern, Bauen, Toben, sich Verstecken…)
... sind mindestens ein, besser über zwei Hektar groß: Nur dann ist der naturnahe Charakter der Fläche überhaupt erfahrbar, können sich die Benutzer verteilen und sich stärker
beanspruchte Teilflächen regenerieren
... haben keine zusätzlichen Spielgeräte nötig: Rutschen, Hangelgerüste, Schaukeln ect. lassen nur bestimmte Bewegungsmuster zu und werden mit der Zeit langweilig.
Naturerfahrungsräume sind im Wandel. Sie benötigen keine weitere „Aufwertung“ und sind damit auch kostengünstig und pflegeleicht ·
... sind so naturnah konzipiert wie es geht: kein Rasen, keine Intensivpflege, keine befestigten und regelmäßigen Wege. Auf mindestens 30 Prozent der Fläche sollten sich
überwiegend frei entwickelnde Pflanzengesellschaften zugelassen werden (natürliche Sukzession, Biodiversität). Andere Teilflächen werden durch gelegentliche Mahd (maximal zweimal jährlich) und
extensive Pflege offen gehalten.
... sind keine Naturschutzflächen: Naturerfahrungsräume lassen Menschen bewusst zu und tolerieren maßvolle Eingriffe wie Trampelpfade. Dennoch entwickeln sie sich durch ihren
angedeuteten Wildnischarakter mit vielfältiger Strukturierung sehr wohl zu einer Oase der Artenvielfalt, von der besonders einheimische Pflanzen und Tiere profitieren können. Es ist keine
wirtschaftliche Nutzung erlaubt.
... brauchen ggfs. „Starthilfe“: Ebene, eher eintönige Flächen sind wenig attraktiv und für Kinder langweilig. Man kann sie interessanter machen, indem man beispielsweise bewegte
Geländeformen schafft, unterirdische oder begradigte Gewässer renaturiert und an manchen Stellen Pflanzungen anlegt. Hohe Erdhügel und Täler mit schroffen Hängen bieten viel Bewegungs- und
Spielraum und neue Perspektiven. Ein kurzfristiger Baggereinsatz mag sinnvoll sein.
Sowohl die Anforderungen an die Fläche als auch die Lage des geplanten NERaumes sind insofern in der Südstadt erfüllt. In den neuen Stadtteil werden viele neue Familien ziehen, deren Kinder das
Areal nutzen können.
Literatur:
Hans-Joachim Schemel: Naturerfahrungsräume. Ein humanökologischer Ansatz für naturnahe Erholung in Stadt und Land. Ergebnisse aus dem F+E-Vorhaben 808 06 009 des Bundesamtes für
Naturschutz (= Angewandte Landschaftsökologie. H. 19). BfN-Schriften-Vertrieb im Landwirtschaftsverlag, Münster 1998, ISBN 3-89624-315-2.
Hans-Joachim Schemel, Torsten Wilke: Kinder und Natur in der Stadt. Spielraum Natur. Ein Handbuch für Kommunalpolitiker, Planer sowie Eltern und Agenda-21-Initiativen. Bundesamt
für Naturschutz. BfN-Skripten 230, ZDB-ID 1476341-2. BfN, Bonn 2008.
Weitere Informationen über Naturerfahrungsräume finden Sie hier: http://www.naturerfahrungsraum.de/index.htm
Letzte Aktualisierung: 07.10.2015 (MP)