Text: Cornelia Wiethaler
Fotos: Cornelia Wiethaler und Rainer Zawatzky
Die Ochsenkopfwiese, zwischen Bergheim, Wieblingen, der Bahnstadt und dem Industriegebiet Pfaffengrund gelegen, ist ein vielfältiger und wertvoller Lebensraum für wilde Blumen und Gräser, für Insekten und Vögel (mehr dazu auch auf den Seiten des Arbeitskreises Umweltpolitik).
Diesen zu erhalten ist ein Mosaikstein auf dem Weg, dem Insektensterben, dem Verlust an biologischer Vielfalt hier vor Ort zu begegnen. Bereits vor zwei Jahren haben Botaniker des NABU begonnen, dort die Pflanzenvielfalt zu untersuchen. Sie haben 203 Pflanzenarten gefunden. Vom Aussterben bedrohte, sogenannte „Rote-Liste“-Arten, waren bislang nicht dabei.
Erstmalig veröffentlicht der NABU die Liste der bisher kartierten Pflanzen auf der Ochsenkopfwiese: Sie finden sie weiter unten zum Herunterladen.
Die Ochsenkopfwiese ist ein schützenswertes Biotop aber kein Naturschutzgebiet, das nicht betreten werden darf. Vielmehr lädt es Menschen ein, Vögeln zu lauschen, Bienen zu beobachten und frische Luft zu atmen, an Ostern Ostereier zu suchen oder Picknick zu machen und respektvoll eine Mischung aus Natur- und Kulturlandschaft zu erleben.
Es ist ein freundliches Öko-System, dem sich viele Menschen verbunden fühlen.
Die Ochsenkopfwiese ist mehr als eine Wiese. Sie ist ein vielfältiges Ökosystem, das Pflanzen, Tieren und Menschen Lebensraum und Abwechslung bietet. Vier Merkmale machen die Ochsenkopfwiese zu einer ökologisch höchst wertvollen Fläche:
Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) hat eine Liste gefährdeter Biotoptypen herausgegeben. Die Ochsenkopfwiese mit ihrer gesamten Struktur- und Artenvielfalt fällt in die Kategorie B. Das bedeutet, sie ist schwer regenerierbar.
Kurzfristig, in einem Zeitraum bis 15 Jahren kann ein ähnlicher Zustand an anderer Stelle nicht erreicht werden.
Erstens, wichtige Strukturelemente sind beispielsweise Bäume, Hecken, Gebüsche, Feldgehölze, Böschungen sowie unbefestigte Erd- und Graswege. Sie erfüllen ökologische Funktionen und sind wichtige Teil-Lebensräume für Insekten und Vögel.
An Bäumen leben bis zu 400 Insektenarten. Diese wiederum bieten Futtergrundlage für Vögel. Auch in den Hecken und Gebüschen finden Vögel Nahrung und Rückzugsräume. Sie können Nester bauen und ihre Vogelkinder aufziehen – ungestört von Katzen und Raubvögeln. Hasen oder Kaninchen verstecken sich in den Büschen und im zentralen Gehölz singt die Nachtigall. Bäume, Hecken und Gebüsche bieten Wind- und Sonnenschutz.
Zweitens, die Bewirtschaftung der Wiese erfolgt nach unserem Wissen seit Jahrzehnten extensiv. Das bedeutet, Düngemittel werden sparsam oder nicht verwendet und auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel wird verzichtet. Ein- bis zweimal pro Jahr wird gemäht. Das Mähgut wird meist abtransportiert. Dadurch ist der wertvolle Lebensraum einer Magerwiese entstanden, der dem Typus einer sogenannten Flachland-Mähwiese gleicht. Im Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT) des Landes Baden-Württemberg wird dieser Wiesentyp als typisch für den deutschen Südwesten beschrieben. In den landwirtschaftlichen Flächen ist er durch die Kulturleistungen der Bauern entstanden.
Durch intensivere Nutzung mit Düngung und häufigere Schnitte nehmen diese Flächen jedoch stetig ab.
Drittens, die Artenvielfalt der Ochsenkopfwiese ist beeindruckend. Insgesamt wurden bisher 203 Pflanzenarten gefunden (s. Pflanzenliste am Artikelende zum Herunterladen).
Im artenreichen Grünland mit Ruderalvegetation und verwilderten Kulturpflanzen ehemaliger Gärten finden sich auch viele der sogenannten „Kennarten“ für den Wiesentyp der Flachland-Mähwiese. Das Landwirtschaftliche Zentrum Baden-Württemberg (LAZBW) bestätigte 15 der auf der Ochsenkopfwiese vorgefundenen Arten als Kennarten für artenreiches Grünland. Die Kennarten der sogenannten FAKT-Liste sind Indikatoren biologischer Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen in Flora-Fauna-Habitat-Gebieten.
Die Pflanzen säen sich selbst wieder aus und überstehen auch extreme Wetterlagen. Zum Artenspektrum der Grünfläche gehören auch einige Waldarten, Bäume, Streuobst und Gehölze.
Viertens, die Umweltleistungen gehen über die im Heidelberger Klimaschutzgutachten erläuterten bioklimatischen Wohltaten als Kaltluftleitbahn und -Entstehungsgebiet in sommerlichen Hitzenächten hinaus. Die Wiese ist auch eine Kohlendioxid (CO2)-Senke. In der Wurzelmasse unter Grünland ist der Humusgehalt deutlich größer als unter Ackerland. Je höher der Humusgehalt von Wiesenböden, desto mehr CO2 wird gebunden. Humusaufbau ist eine Möglichkeit, das zur Erhitzung der Erde beitragende CO2 aus der Luft in die Erde zurückzuholen.
Allgemein trägt Grünland zum Schutz von Boden und Grundwasser bei. Die Bäume filtern Schadstoffe aus der Luft effektiv und verbessern auf natürliche Weise das Stadtklima. Je nach
Windrichtung profitieren davon unterschiedliche Stadtteile. Die Ochsenkopfwiese liegt zwischen den urbanen Wärmeinseln Bergheim, Bahnstadt und Pfaffengrund-Industriegebiet.
Ein einzelner Baum kann in etwa so viel kühlen wie 10 Haushalts-Klima-Anlagen. An die 200 teilweise stattliche Bäume kühlen die Luft, indem sie Wasser verdunsten und die Hitze um 2–5 Grad lindern.
Fazit
Die extensiv bewirtschaftete Ochsenkopfwiese ist ein wertvoller Naturraum für Pflanzen, Insekten und Vögel mit ökologisch wichtigen Strukturelementen und einer großen Artenvielfalt. Bisher wurden vom NABU 203 Pflanzenarten gefunden.
Jede Blühpflanze bietet Nahrung und Lebensraum für durchschnittlich 10 Insektenarten – jeder Baum um ein Vielfaches mehr.
Zudem bietet die Wiese mit ihrem lichten Baumbestand Umweltleistungen wie beispielsweise die Speicherung von CO2, den Schutz von Boden und Grundwasser, die Filterung von Schadstoffen und nicht
zuletzt eine spürbare Luftkühl-Funktion.
Die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse des Weltbiodiversitätsrates zeigen, dass Naturschutz in Naturschutzgebieten allein nicht ausreicht, um das Artensterben in Deutschland zu stoppen. Robert Watson, Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrates sagt, dass es „nicht zu spät für Gegenmaßnahmen“ sei, „wenn wir sofort auf allen lokalen und globalen Ebenen damit beginnen“. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund macht es Mut, dass sich so viele Menschen in und um Heidelberg für den Erhalt der vielfältigen Ochsenkopfwiese einsetzen.
Vor fast 50 Jahren wurde eine Industriefläche stillgelegt und nun hat die Natur mit geringem menschlichem Aufwand ein vielen HeidelbergerInnen liebgewordenes Kleinod an Biodiversität entstehen lassen. Es zu erhalten ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll.
Stand: 23. April 2019
Die Wiese wird vor allem von Arten des extensiven Grünlands, der Ruderalvegetation und (Zier-) Pflanzen ehemaliger Gärten gebildet. Zum Artenspektrum gehören auch einige Waldarten. In den Gehölzen sind sowohl Arten anzutreffen, die sich spontan angesiedelt haben als auch Arten die in der Vergangenheit vor allem als Nutz- und Zierpflanzen angepflanzt wurden bzw. verwildert sind.
Die Flurbegehungen auf der Ochsenkopfwiese wurden geleitet von Volker Violet und Cornelia Wiethaler vom NABU in Zusammenarbeit mit Dr. Rainer Zawatzky vom BUND. Verschiedene StadträtInnen und AnwohnerInnen haben sich die Ochsenkopfwiese angeschaut und im Anschluss dazu folgende Kommentare abgegeben.
Die Veröffentlichung der folgenden Zitate erfolgt mit Genehmigung.
Hans-Jörg Kraus, Kandidat für die CDU, erklärt: “Selbstverständlich bin auch ich für den Erhalt der Artenvielfalt und für Umweltschutz, das steht außer Frage. Jedoch ist es eine Frage der Prioritäten, wo dies stattfinden kann und soll. So ist für mich die Ochsenkopfwiese wichtig für den Ausbau des Nahverkehrs und somit für die Bebauung mit dem Betriebshof. Wir sollten uns überlegen, welche Flächen für Grünflächen und Artenvielfalt benutzt werden können, die nicht vordergründig für den Wohnungsbau oder Gewerbeflächen für unsere schöne Stadt benötigt werden.”
Matthias Stolzenburg, Kandidat für Bündnis 90/Die Grünen, gibt folgende Einschätzung ab: "Die Begehung der Ochsenkopfwiese hat eindrücklich gezeigt, dass der Standort ein
wertvoller Naturraum in der Stadt ist. Diese Artenvielfalt zu opfern ist ein Beispiel für kurzsichtige Stadtplanung, bei der man die Fehler der Vergangenheit wiederholt. Ein Betriebshof zwischen
Autobahn und Schienen mag den aktuellen Anforderungen des ÖPNV genügen, kann aber in Zukunft genau wie der aktuelle Standort nur noch sehr begrenzt erweitert werden und ist deshalb nicht
zukunftssicher."
Sahra Mirow, Stadträtin Die Linke und Kandidatin EP sagt: „Wir setzen uns für den Erhalt der Grünfläche großer Ochsenkopf ein. In Zeiten zunehmender Hitzewellen und der
Klimakrise ist es umso wichtiger, städtische Grünflächen zu erhalten und zu schützen. Und zwar auf allen Ebenen: lokal, bundesweit und auf EU-Ebene. Wir danken auch dem NABU an dieser Stelle für
die interessante Führung durch die Artenvielfalt hier auf der Ochsenkopf-Wiese.“
Bernd Zieger, Stadtrat Die Linke: „Die Biodiversität auf der Ochsenkopfwiese ist Klasse. Sie muss erhalten werden.“
Arnulf Weiler Lorenz, Stadtrat Bunte Linke: „In den letzten 5 Jahrzehnten konnte sich die Natur auf der Ochsenkopf-Wiese entwickeln. Es ist vollkommen unrealistisch, dass eine
ähnliche Biodiversität auf einem Gründach entstehet.“
Matina Wolff, Anwohnerin: „Als Anwohnerin der Ochsenkopfwiese kenne, liebe und nutze ich diese Wiese in Heidelberg seit vielen, vielen Jahren. Trotz direkter Nähe zur Autobahn
und dem Zugverkehr ist die Wiese für mich eine Oase der Ruhe und Entspannung. Vogelgezwitscher, summende Bienen und andere Insekten, Feldhasen, Fledermäuse und das allabendliche "Geschrei" der
Halsbandsittiche...ein herrlich, schönes, natürliches Fleckchen Heidelberg!
Umso größer war die Freude an einer Wiesenbegehung begleitet durch den NABU (Dienstag 23.04.2019) teilnehmen zu können, um Neues über die Biodiversität der Wiese vor meiner Haustüre zu erfahren.
Das war für mich absolut bereichernd und sehr interessant, auch wenn ich zunächst große Sorge hatte, das Ganze könnte "außer Kontrolle" geraten und zu einer politischen Diskussionsveranstaltung
werden.
Dem NABU danke ich sehr für die geschickte, spontane Lösung, Diskussionsbedürftige und wirklich Interessierte bei ihrem Rundgang zu trennen. So konnte ich viel Bereicherndes durch die Experten
des NABU über die Biodiversität der Wiese erfahren. Ich denke, dass ausschließlich wirtschaftliche Interessen hinter den Bebauungsplänen der Ochsenkopfwiese stehen. Diese widersprechen jeglicher
Logik. Bebauung einer der letzten natürlichen Grünflächen, um in spätestens 15 Jahren festzustellen: uppps... der Platz für unseren neuen Betriebshof reicht nicht aus...wohin jetzt????
Ich wünsche mir, die Wiese in ihrer Artenvielfalt und die schattenspendenden Birken im Sommer noch viele, viele Jahre genießen zu können...und einen guten, alternativen Standort für den
Betriebshof zu finden.“
Gerhard Kaiser, Vorsitzender der BUND-Kreisgruppe Heidelberg: „Ich bin entsetzt, dass gerade in der heutigen Zeit, wo endlich über den Klimawandel und seine Folgen für den
städtischen Lebensraum sowie über den grassierenden Artenschwund öffentlich diskutiert wird, in der ehemaligen Hauptstadt des Naturschutzes Projekte geplant werden, die geradezu bilderbuchhaft
einen Beitrag zu den genannten katastrophalen Entwicklungen leisten.“
Letzte Aktualisierung: 20.07.2019 (MP)